
Die Sache mit dem Fahrrad
Wenn der Dachboden aufgeräumt wird...
Wenn der Dachboden aufgeräumt wird….
So ein Dachboden hat etwas! Nicht nur, dass hier ausgemusterte oder ungeliebte Gegenstände aus dem Blickfeld geschaffen werden können, er birgt auch so manch interessante „Zeitzeugen“. So entdeckte kürzlich eine Garchingerin auf ihrem Speicher eine „Radfahrkarte“, die vor gut 100 Jahren in der Landeshauptstadt München ausgestellt wurde. Dass solche Funde „Geschichte pur“ darstellen, wird klar, wenn diesen Schriftstücken auf den Grund gegangen wird.
Die noch gut leserliche „Radfahrkarte“ war am 23. Juli 1920 von der „Königlich-Bayerischen Polizeidirektion München“ für Wolfgang Rank ausgestellt worden. Bei Wolfgang Rank handelte es sich um einen Garchinger, der vielen älteren Einwohnern noch erinnerlich sein dürfte. Sein Profil wurde an der Skulptur des „Wirtsepperl“ am Brunnenhof „verewigt“. Der 1903 geborene Rank lebte in den Zwanzigerjahren in der Landeshauptstadt, erlernte dort das KFZ-Handwerk und arbeitete danach als KFZ-Mechaniker und Chauffeur. Wahrscheinlich legte der 17-Jährige den Weg von seiner Wohnung in der Neureuther Straße zu seinem damaligen Lehrherrn und Arbeitgeber mit dem Fahrrad zurück, wie das alte Dokument besagt. Dazu benötigte er wie alle Radfahrer zu dieser Zeit eine „Radfahrkarte“.
Das „Radeln“ wie es seit vielen Jahrzehnten üblich und heutzutage zu einer Hochform aufgelaufen ist, war vor 100 Jahren noch nicht ganz so selbstverständlich. Als vor 200 Jahren Karl Freiherr von Drais mit seinem kreativen Erfindergeist eine „Laufmaschine“ konstruierte und damit den Urtyp des heutigen Fahrrades schuf, wurde er mit diesem Fortbewegungsmittel eher noch belächelt. Doch im Laufe der Zeit entwickelte sich aus dem Laufrad kontinuierlich ein beliebtes und nützliches Verkehrsmittel für die Allgemeinheit. Nach verschiedenen Radtypen wie zum Beispiel dem Hochrad gelang erst mit dem „Niederrad“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der eigentliche Durchbruch. Mit dem Niederrad wuchs die Popularität dieses Fahrzeuges, denn es war wesentlich leichter zu handhaben als die vorangegangenen Hochräder. Ungefähr seit 1880 wurden Fahrräder mit Kettenantrieb, Luft-Gummireifen und gleichgroßen Speichenrändern vorne und hinten gebaut. Die zunehmende Beliebtheit von Fahrrädern konnte auch mit entsprechenden Zahlen belegt werden: 1882 wurden im damaligen deutschen Reich etwa 2500 Fahrräder produziert, im Jahr 1897 war die Zahl bereits auf 350 000 angestiegen.
Doch wie historischen Quellen zu entnehmen ist, wurden in den Anfangsjahren des zunehmenden Fahrradaufkommens Radfahrer vor allem in den Städten noch als „Gefahr für den Verkehr“ eingeschätzt und das Radfahren mit strengen Vorschriften belegt. In diesem Sinne trat am 1. August 1908 eine Verfügung des Reichsinnenministerium mit neuen Vorschriften für den „Radfahrverkehr für das gesamte Gebiet des Deutschen Reiches“ in Kraft. Den Radfahrern wurden zum Beispiel „übermäßig schnelles Fahren“ verboten sowie Handlungen untersagt „die den Verkehrsstrom stören und Zugtiere scheu machen.“ Außerdem war nur auf bestimmten Fahrwegen das Befahren mit Rädern erlaubt. Strikt verboten wurde das Wettfahren“ auf öffentlichen Wegen. Jedes Fahrrad musste zudem mit einer intakten Bremse, einer „Signalglocke und einer hellleuchtenden Laterne“ ausgestattet sein. Der später übliche Dynamo kam erst ab 1920 zum Einsatz. Es wurde ferner für die Radbesitzer zur Pflicht gemacht, ihre Fahrräder nummerieren und registrieren zu lassen. Erst mit einer gültigen Radfahrkarte der zuständigen Behörde durften sie sich in den Straßenverkehr mischen.
Nach Ende des zweiten Weltkrieges gab es in den verschiedenen Besatzungszonen der alliierten Streitkräfte ebenfalls eine Registrierungsplicht für Fahrräder, die als Eigentumsnachweis für das jeweilige Rad galten. Ein solcher „Polizei-Fahrradausweis“, wie er zum Beispiel im Juni 1945 für die damalige Gemeinde-Angestellte Viktoria Thalhammer ausgestellt wurde, bestätigte auch, dass die Nutzung des Fahrrades aus „beruflichen Gründen“ erfolgte. Die 27-Jährige pendelte damals täglich mit ihrem Rad zwischen ihrem Wohnort Hart und Garching hin und her.
Heutzutage stellen solche „Radfahrkarten“ Relikte aus einer längst vergangenen Zeit dar. Und auch das Fahrrad hat seinen „Urtypen“ längst zurückgelassen und vor allem im Laufe der letzten 50 Jahre mit seiner technischen Entwicklung einen echten „Siegeszug“ angetreten.
Nur in Besitz einer „Radfahrkarte“ konnten sich die Radfahrer wie Wolfgang Rank zu Beginn des 20. Jahrhundert auf ihr Zweirad schwingen.
Nach Kriegsende musste die Nutzung eines Fahrrades aus beruflichen Gründen und als Eigentumsnachweis mit einem Polizei-Fahrrad-Ausweis belegt werden.