
Starke Frauen
Eine Geschichte über Flucht und neue Perspektiven
Zawish, eine junge Pakistani, erzählt über die Flucht aus ihrer Heimat und ihr Leben in Deutschland.
Als ich mich mit der jungen Zawish zum Gespräch über die Geschichte ihrer Familie traf, durfte ich eintauchen in eine fremde Welt, in der Frauen es sehr schwer haben, ihr Leben selbst zu gestalten.
Die Ankündigung der beiden deutschen Ministerinnen Annalena Baerbock und Svenja Schulze über die Leitlinien für die zukünftige, feministische Außenpolitik, bei der unter anderem bis 2025 85% der Projektmittel so vergeben werden, dass die Bedürfnisse von Frauen mitberücksichtigt werden, bekam ein Gesicht.Die heute 21-jährige Zawish verließ im Jahr 2013 mit ihrer Mutter, ihrem Bruder und ihrer Tante die Heimat. „Es ging uns für pakistanische Verhältnisse nicht so schlecht. Das Problem war, dass meine Mutter alleinerziehend war und wir dadurch benachteiligt waren, beispielsweise bei der Wahl der Schule. Als alleinerziehende Frau hast du in Pakistan praktisch keine Rechte.
Und unsere Mutter wollte für uns einfach gute Bildung und Zukunftschancen, die wir in unserer Heimat aufgrund ihres Familienstandes nie haben würden und so hat sie beschlossen, mit uns wegzugehen.“Über die „übliche Flüchtlingsroute“ durch einen Schlepper organisiert – mit Bus, Lastwagen, auf einem Schiff mit mehreren Menschen in einen Container gepfercht, landete die Familie mitten in der Nacht schließlich in Frankfurt. „Wir wussten nicht, wo wir waren und der Schlepper kam nicht zum vereinbarten Treffpunkt. Also haben wir einen Mann auf der Straße gefragt, wo wir sind, und er sagte, dass wir in Deutschland sind. Wir hatten große Angst, weil wir jetzt in der Öffentlichkeit waren, und dann entschied meine Mama, dass wir zur Polizei gehen. Und da hatten wir dann alle sehr große Angst, weil wir nicht wussten, was jetzt passiert.“Letztendlich landete die Familie in Dietramszell in Oberbayern. Während der ganzen Zeit, seit sie in Deutschland sind, erfährt die Familie große Hilfsbereitschaft von Vermietern, Vereinen und der Schule, in die die Kinder gehen. Zawish erzählt mit großen, leuchtenden Augen: „Ich hatte einen eigenen Schreibtisch und so einen wunderschönen Stuhl. Unter dem Schreibtisch war sogar eine Ablagefläche für meine Sachen. Ich fand das so schön. In Pakistan saßen wir nur auf einer Holzbank und hier war alles so sauber und ordentlich.“
Mit großem Ehrgeiz meisterte Zawish ihre Schulzeit bis hin zum regulären Fachabitur. Die Zeit in der Fachoberschule beschreibt sie als sehr herausfordernd. „Mathe und Rechnungswesen waren kein Problem. Aber irgendwann hatte ich so einen Sprachensalat in meinem Kopf.“ Im Anschluss bekam sie eine Lehrstelle bei einer Bank und durfte bereits früh mit Kunden in Kontakt treten. Man merkt, dass sie ihren Beruf liebt und ein wunderbares Verhältnis zu ihren Kolleginnen und Kollegen hat. Die Frage, ob sie denn traurig sei, weil ihre Kindheit nicht wirklich unbeschwert verlaufen ist, sondern geprägt war von Veränderung und Anstrengung, beantwortet sie so: „Nein! Ich bin ein Glückspilz. In Pakistan geht es vielen Menschen sehr schlecht und es kümmert sich niemand um sie. Hier in Deutschland bekommt man so viel Unterstützung und der Staat hilft einem bei vielen Problemen.“ Doch die Familie möchte es selbst schaffen und möglichst wenig Hilfe in Anspruch nehmen. „Meine Mama war in Pakistan Speditionskauffrau. Hier in Deutschland ging sie erst putzen und half im Supermarkt. Das war nicht so angenehm, aber sie wollte kein fremdes Geld annehmen.“ Mittlerweile arbeiten die Mutter und der Bruder von Zawish als ausgebildete Pflegefachkräfte.Auf die Frage, ob sie die Heimat vermissen, antwortet Zawish: „Meine Mutter musste in Pakistan unser Haus und unser Auto verkaufen. Wir mussten unsere Familie und Freunde zurücklassen. Hier wohnen wir alle gemeinsam in einer Wohnung. Es ist alles so sauber und so sicher. Die Luft ist so rein und es gibt sehr viele Bäume. Ich kann allein in die Arbeit fahren, ohne Angst zu haben, vergewaltigt oder entführt zu werden.“ Lächelnd fügt sie hinzu: „Und meine Kultur habe ich mitgebracht.“ Wobei, das Zuckerfest (Fest zum Ende des Fastenmonats Ramadan) und die großen Hochzeitsfeiern, die bei den Cousinen und Cousins nun anstehen – da würde sie schon ganz gern dabei sein.Apropos Hochzeit.
Zawish erzählt mir, dass in Pakistan die Familie den Mann für die Mädchen aussucht. Ihre Mutter wurde mit 18 Jahren, kurz vor ihrem Schulabschluss, verheiratet und trennte sich später von ihrem Mann, da es einfach nicht der Richtige war. Dass in der pakistanischen Kultur die Eltern den Mann aussuchen, ist für Zawish selbstverständlich: „Meine Mama ist eine sehr starke Frau und ich vertraue ihr auch, dass sie einen guten Mann für mich wählt. Wir sind so erzogen, dass wir nicht auf einen Mann zugehen, und das kann ich auch nicht. Ich vertraue meiner Mama, Mütter wollen für ihre Töchter doch immer das Beste. Und meine Mama überlässt mir auch die Entscheidung, ob und wann ich heiraten möchte. Vor kurzem meinte sie, dass es langsam Zeit werden würde. Aber ich arbeite lieber, das kann noch warten.“
An dieser Stelle bemerken wir, wie unterschiedlich die Lebensweisen in den verschiedenen Kulturen sind. Abends mit Freunden ausgehen würde Zawish niemals, das macht man in Pakistan als Frau nicht, das bleibt den Männern vorbehalten. „So bin ich erzogen und ich fühle mich wohl dabei. Ich muss demnächst zu einer Fortbildung. Da bin ich das erste Mal im Leben für mehrere Tage und Nächte nicht bei meiner Familie. Dieser Gedanke fühlt sich komisch an. So etwas habe ich noch nie gemacht. Bei uns in Pakistan würde eine Frau niemals allein weggehen oder für mehrere Tage nicht bei der Familie sein. Das wäre auch viel zu gefährlich.“ Im Verlauf des Gesprächs kommen wir auf die Kleidung der pakistanischen Frauen und das, bei uns im Land viel diskutierte, Kopftuch zu sprechen. Zawish erzählt mir, dass die pakistanische Regierung keine Vorschriften macht und jede Frau selbst entscheiden darf, ob sie ein Kopftuch trägt oder nicht. Es kommt vor allem auf die Familie an. Sie selbst trägt in der Arbeit kein Kopftuch, in ihrer Freizeit hingegen schon: „Für mich verkörpert das Kopftuch die Würde der Frau. Wir bedecken uns, um uns diese Würde zu bewahren.“Ob Sie sich vorstellen könne, Karriere zu machen, „Business-Woman“ zu werden frage ich sie. Nach einem kurzen Moment des Überlegens grinst sie mich an: „Warum nicht, das wäre schon toll.“ Das Potential hätte sie auf jeden Fall.Dauerhaft in ihre Heimat zurückgehen möchte sie nicht: „Dann wäre das ja alles umsonst gewesen. Und ich bin sehr, sehr dankbar für das, was mir Deutschland und die Menschen hier gegeben haben. In Pakistan wäre ein Mensch dankbar für das Essen, das hier weggeworfen wird.“
Ich frage Zawish, was sie sich wünschen würde, wenn sie heute zum Weltfrauentag einen Wunsch frei hätte: „Frieden – den Frieden und die Freiheit, als Frau an dem Ort auf der Welt an dem man geboren wurde, in Würde leben zu dürfen und sich wohlzufühlen. Ich wünsche mir, dass man nicht flüchten muss, nur um in Frieden leben zu dürfen. Das wünsche ich mir.“