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MISS AMERICANA

- Die USA, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, nach oben und nach unten –

 

Die USA sind eine Großmacht, die die Welt polarisiert. Umso neugieriger ist man darauf, das Land und die Menschen kennen zu lernen, die in diesem besonderen Kosmos leben. 

 

Nachdem wir unsere Reise wegen Corona um drei Jahre verschieben mussten, womit wir vor Ausbruch der Pandemie niemals gerechnet hätten, ging es im Sommer 2023 endlich los. Wie immer, wenn man so etwas Großes vorhat, bleiben die gut und auch nicht so gut gemeinten Ratschläge und Botschaften nicht aus. Viel zu heiß dort im August, völlig überfüllt die Nationalparks, alles viel zu teuer, wie kann man das nur machen. Bis auf die Tatsache, dass ich, entgegen unserer sonstigen Gewohnheiten, alles akribisch geplant und vorgebucht hatte, machten wir uns trotz dieser Hiobsbotschaften mit viel Vorfreude und positiver Energie auf, um das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu erobern. Nach einem entspannten und gewohnt ordentlichen Flug mit der deutschen Lufthansa betraten wir in San Francisco den legendären amerikanischen Boden, um in einer völlig anderen Welt anzukommen. Dass das mit dem Datenschutz hier grundsätzlich anders gehandhabt wird als daheim, wird einem spätestens bei der Einreise klar. Neben Fingerabdrücken und einem digitalen Foto, das natürlich gespeichert wird, ohne dass man davor zehn Unterschriften auf einem dicken Stapel Papier abliefern musste, wird man eindringlich und mit ernster Miene befragt, was man den vorhat, wieviel Geld man dabei hat, usw. Ich bin ein Verfechter der persönlichen Freiheit und des Schutzes der eigenen Identität. Aber wenn man bedenkt, dass auch potenzielle Banditen ihre Daten bei der Einreise abliefern müssen, ist es vielleicht gar nicht so schlecht, was die Amerikaner machen. Wie auch immer, wir hatten die „Musterung“ bestanden und durften in unser persönliches Abenteuer starten. Wenn man München kennt und mit dem vergleicht, was uns hier empfing, dann weiß man, dass die bayerische Metropole im Vergleich zu einer amerikanischen Großstadt eher als Dorf bezeichnet werden darf. Bei unserer ersten Fahrt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel nahm gleich ein junger Mann neben uns Platz, der an seiner Hose ein Messer befestigt hatte, so groß, dass man problemlos einen Bären damit erlegen konnte. Als wir ausstiegen, stieg uns ein unsichtbarer, erbärmlich stinkender Geruch in die Nase. Für unsere Tochter und mich ein undefinierbarer, schrecklicher Duft. Nach ein paar Tagen, in denen uns dieses Dufterlebniss immer wieder untergekommen war, fragten wir das männliche Mitglied unserer Reisegruppe, ob er dieses undefinierbare Etwas auch riechen würde. Er grinste und klärte uns auf, dass das die Joints wären, die da die Luft so verpesten. Jetzt wussten wir es auch, zumindest wie Drogen riechen. Man lernt nie aus. Ohne Zeit zu verlieren, besorgten wir uns am ersten Urlaubstag gleich unsere Mietfahrräder. Jeder normale Tourist in einer amerikanischen Großstadt fährt mit den dafür vorgesehenen Touristengefährten wie Bussen oder Taxis. Wir nicht, eh klar. Ich glaube, wir haben mehr Kilometer abgeradelt, als ein Einheimischer während seines ganzen Lebens hier zusammenbringt. Die Amerikaner lieben ihre Autos und denken nicht im Traum daran, an dieser Situation etwas zu ändern. Trotzdem ist San Francisco ein Eldorado für Radfahrer. Die ganze Stadt ist mit Fahrradstreifen ausgestattet und wir haben sie alle im Alleingang benutzt – von der Golden Gate Bridge bis zu den Painted Ladies. Übrigens ein gutes Mittel gegen den Jetlag. Man ist jeden Abend so müde, dass der Körper gar nicht merkt, dass mit der Zeit irgendwas nicht stimmt. Ein weiterer Vorteil ist, dass man mit dem Fahrrad tief eintauchen kann in die verschiedenen Welten. Erst radelt man durch den blitz-blanken Finanzdistrikt, um gleich darauf in Straßenzüge zu gelangen, die am Rand von Zelten übersäht sind, in denen Menschen leben, weil sie sich das „normale Leben“ nicht mehr leisten können. Auf so einer Radrunde beweist einem dieses Land eindrucksvoll, dass es den Namen „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ nicht umsonst hat – in beide Richtungen, nach oben und nach unten, ohne das uns vertraute Netz der sozialen Absicherung. Doch paradoxerweise haben die meisten Amerikaner einen unerschütterlichen Humor. Es wird ihnen nachgesagt, dass sie keine Kultur haben. Das stimmt schon in gewisser Weise. Doch ist eine Lebensweise voller Gelassenheit, Dankbarkeit, Humor und Hilfsbereitschaft, wie wir sie während unserer Reise eindrucksvoll kennengelernt haben, so viel schlechter als „Kultur“? Da gibt es, wie immer, viele Meinungen dazu. Mich haben die Amerikaner mit ihrer Art auf jeden Fall begeistert und ich habe mir vorgenommen, mir davon ein Stück zu bewahren. Seit ein paar Wochen sind wir wieder zu Hause und es ist nicht immer leicht, sich diesen „Way-of-Life“ von der deutschen Mentalität nicht stehlen zu lassen. Ich gebe nicht auf!

 

Zurück zur Reise. Um die atemberaubende Natur dieses großen Landes kennenzulernen, eignet sich am besten ein Wohnmobil. Einen zackigen Fahrer hatten wir ja schon dabei (siehe „Wintercamping“) und mit der Zeit wurde auch ich schneller, so dass wir mehrere tausend Kilometer hinter uns brachten. Ab und an kam es vor, dass ich vom Steuer vertrieben wurde, weil es noch zu langsam ging, aber mit der Zeit passierte das immer seltener. Wobei man eindeutig sagen muss, der Weg ist das Ziel und die lustigsten Begegnungen hatten wir auf Parkplätzen und im Supermarkt. Gleich unser erster Einkauf war ein Erlebnis. Wir mussten feststellen, dass die gängigste und beliebteste Verpackungseinheit für Getränke die Galone ist. Wir amüsierten uns an der Kasse immer noch köstlich, dass wir gerade 3,8 Liter Eistee gekauft hatten, von dem wir zu Hause nicht einmal einen Schluck konsumieren würden. Der freundliche junge Mann an der Kasse und sein Kollege im Rentenalter, der unsere Einkäufe einpackte und für uns zum Auto brachte, fanden das „cute“ und es entspann sich ein lustiges Gespräch über unsere Herkunft und unsere Reisepläne. Der „Einpack-Opa“ griff beherzt zu und manövrierte unseren Einkaufswagen voller Tüten geschickt bis zu unserem Motorhome. Da wollte er noch allerhand über dieses „great vehicle“ wissen, während er es sich nicht nehmen ließ, die Tüten vom Einkaufswagen auch noch ins Auto zu räumen. Vielleicht ist es die Beschäftigung und die daraus folgende soziale Teilhabe, die die amerikanischen Rentner so viel lustiger und dankbarer für das Leben macht, als ihre reichen deutschen Kollegen, die, während sie dem Nichtstun frönen, immer unzufriedener werden. Ich möchte mir nicht anmaßen, den Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, gute Ratschläge zu geben. Aber vielleicht ist es einen Moment wert, über dieses Phänomen nachzudenken. Betätigungsfelder gäbe es wahrscheinlich genügend.

 

Die Frage nach der Lieblingsbeschäftigung der Amerikaner ist schnell und eindeutig beantwortet: Feuer machen! An jeder Ecke gibt es „Firewood“ zu kaufen und auf jedem Campground ist in jeder Parzelle selbstverständlich eine professionelle Feuerstelle. Dafür sparen sie bei der Ausstattung der sanitären Anlagen, regelmäßiges Duschen wird sowieso überbewertet. Schweren Herzens haben wir unseren Sauberkeitswahn beerdigt und uns dem Feuermachen zugewandt. Voller Elan radelten wir los, um im Campermarket zwei Bündel Feuerholz zu erstehen. Das Holz, abenteuerlich auf unsere Drahtesel geschnallt, gaben wir sicher ein lustiges Bild ab. Unser amerikanischer Campingnachbar beäugte uns etwas befremdlich. Wir hofften, dass er uns wohlgesonnen war, er hatte nämlich permanent eine Pistole umgeschnallt. Endlich kam der Abend und wir freuten uns auf unser BBQ. Da kam jedoch auch der Regen - ein Ausläufer des Hurricans von der Küste. Und so fiel unser erstes Feuer buchstäblich ins Wasser. Dieser abendliche Regen begleitete uns noch eine ganze Woche, was uns grundsätzlich nicht störte. Da der Platz in unserem Motorhome jedoch sehr begrenzt war, mussten wir uns während dieser Zeit den Platz in unserer Toilette mit unserem Firewood teilen. Man fühlte sich durch den Holzgeruch sehr naturverbunden während des Besuchs auf dem stillen Örtchen.

 

Übrigens, die düsteren Prophezeiungen unserer daheim gebliebenen Reisepropheten, es sei zu heiß und zu viel los, traten nicht ein. Es ließ sich nur erahnen, dass die Amerikaner vor einigen Jahren auch von dem Phänomen „Overtourism“ geplagt waren. Doch in der ihnen eigenen Art machten sie damals wohl kurzen Prozess. In den Nationalparks verkehrten auf den beliebten Scenic-Routen nur Shuttle-Busse und man konnte, zu unserer großen Freude, dort auch überall mit dem Fahrrad fahren. Ranger kontrollieren die Einhaltung der Regeln. Wenn einem so ein Ranger gegenübersteht, bewaffnet wie das SEK und groß wie ein Schrank, überlegt man sich sehr schnell, das Lagerfeuerverbot wegen Trockenheit doch lieber einzuhalten und im Zweifelsfall sein Firewood wieder einzupacken. Werden ja nicht alle ihre Holzvorräte auf dem Klo aufbewahren müssen. Wanderwege werden kurzerhand gesperrt und das Zugangsrecht in einer Lotterie verlost. Glauben Sie nicht? Ich auch nicht. Bis wir in so einer Lotterie tatsächlich eine „Permit“ gewannen. Tags darauf machten wir uns auf den, von Kontrollpunkten gesäumten, Weg, wo wir jedes Mal unsere Gewinnbestätigung und unseren Ausweis vorzeigen mussten. Die Kontrollposten freuten sich mit uns, da es wohl sehr aussichtslos ist, zu gewinnen. Es soll Menschen geben, die sich seit Jahren dafür bewerben. Wir wussten dieses Glück zu schätzen und genossen unseren Aufstieg zu „Angels Landing“ sehr. Seinen Namen bekam dieser einzigartige Trail von seinem Entdecker, weil er so steil sei, dass nur Engel darauf landen können. War schon eine heiße Nummer, doch der Nervenkitzel wurde mit einem atemberaubenden Ausblick belohnt.

 

Nach einiger Zeit zwischen Holzfeuer, Camperglück und Natur wartete Las Vegas auf uns, eine glitzernde Märchenwelt und beliebt bei Touristen aus aller Welt. Nachdem die Touristen entgegen den amerikanischen Gewohnheiten nicht so sehr am Glücksspiel teilnehmen, wie es sich die Casinos wünschen, nehmen sie einem die Dollars halt gleich beim Parken, Essen und beim Sightseeing ab. Das Ergebnis bleibt das gleiche, die Besucher sind pleite und die Casino-Besitzer reiben sich die Hände. Wir hatten ja immer noch unser Holz neben dem Donnerbalken, im Fall der Totalpleite hätten wir halt ein Lagerfeuer gemacht und die restlichen Würstl gegrillt.

 

So weit kam es nicht, wir sind rechtzeitig vorher wieder weitergezogen. Unsere Reise neigte sich langsam dem Ende. Es wartete nur noch der berühmte Yosemite-Nationalpark auf uns. Aufgrund der hohen Beliebtheit dieser Location und weil ein großes Feuer vor ein paar Jahren einen Teil der Campingplätze zerstört hat, grenzte es an ein Wunder, dass wir überhaupt noch eine Nacht ergattert hatten. Auf uns wartete der mitunter schönste Platz unserer Campingriege, wahrscheinlich, um uns den Abschied noch schwerer zu machen. Die Sitzgelegenheit mit Feuerstelle direkt am Merced River und ein paar Meter weiter oben, zwischen den Bäumen, unser Motorhome, ohne Blickkontakt zu den Nachbarcampern - was uns später jedoch noch zum Verhängnis werden sollte. Der einzige Sicherheitshinweis, den wir am Eingang bekamen, war, dass es hier sehr viele Bären gibt. Auf einem Flyer standen die Sicherheitsregeln, die man beachten sollte, wenn einem sein Leben lieb ist. 

Die verbleibenden Stunden nutzten wir zu einer Panoramafahrt durch den Park, um nach Einbruch der Dunkelheit feierlich unser letztes „Firewood“ aus seinem exklusiven Depot zu holen und uns ein letztes Mal beim Blick in das knisternde Lagerfeuer von unseren Träumen tragen zu lassen. Urplötzlich, aus dem Nichts, hallte uns ein dunkles, tiefes Brüllen entgegen. Bären! Wir sprangen, wie von der Tarantel gestochen, auf und waren schneller als Usain Bolt es jemals sein könnte, in unserem Wohnmobil verschwunden. Hallelujah! Draußen stand unser Essen auf dem Tisch, was laut Anweisungen im Bärenland unter keinen Umständen sein durfte und nebendran loderte unser Lagerfeuer in den Nachthimmel, was man ebenfalls unbedingt ablöschen muss, bevor man sich entfernt. In diesem Moment richteten sich alle Blicke auf unseren männlichen Begleiter. Scheiß auf die Emanzipation! Jetzt konnte er beweisen, was ein richtiger Mann ist. Und tatsächlich machte er sich nach ein paar Minuten, mit seinem winzigen Taschenmesser und einer Stirnlampe bewaffnet, auf den Weg nach draußen. Wie gerne hätten wir jetzt so ein Messer gehabt, wie der Mann in San Francisco neben uns im Bus (vielleicht kam der seinerzeit gerade vom Yosemite?). Kurz darauf erschien unser persönlicher Hero grinsend wieder, um uns mitzuteilen, dass das wohl der Hund vom Nachbarcamper war, der uns so erschreckt hatte. Manchmal wäre es eben doch besser, wenn man sehen würde, was beim Nachbarn so vor sich geht.

Und so krabbelten wir wieder aus unserem mobilen Heim, bereiteten trotz der Entwarnung alles für eine schnelle Flucht vor und genossen noch unsere letzten Stunden auf amerikanischem Boden an unserem Lagerfeuer.

 

Reisen bildet. Was habe ich auf dieser Reise gelernt? Dass Luxus und soziale Sicherheit keine Voraussetzungen für Gelassenheit und unerschütterlichen Humor sind. Und dass wir Deutschen uns oft selbst im Weg stehen mit unserer deutschen Gründlichkeit. Zugegeben, es ist schwierig das richtige Maß zu finden und entspannt zu bleiben, denn natürlich ist nicht alles immer so einfach, wie es von außen erscheint. Vielleicht hat Karl Lauterbach die gleichen Erfahrungen gemacht wie ich, weil er so dahinter war, Cannabis zu legalisieren. Denn manchmal bräuchte man wohl ein bisschen Rauch, um es chilliger anzugehen. Sollte ich ihn mal treffen, werde ich ihn fragen. Bis dahin übe ich, auch ohne Joint mit einem Lächeln auf den Lippen durchs Leben zu gehen und mir den täglichen Wahnsinn nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen – ein kleines bisschen Miss Americana zu bleiben.

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