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La dolce vita
sul lago di como

Sind Sie auch fasziniert von der Vielfalt der europäischen Kulturen? Es gibt wohl kaum einen anderen Kontinent, auf dem so viele unterschiedliche Lebensarten auf einer vergleichsweise kleinen Landkarte zusammentreffen.

Lebt man, wie wir, zwischen „Lederhosen, Laptop und Schweinebraten“ in Bayern, ist es immer wieder eine Freude, unsere Nachbarn, die Italiener zu besuchen. Und so führte uns kürzlich der Weg über Österreich und die Schweizer Alpen Richtung Norditalien, Ziel war der Comer See. Sein Ruf, er sei eine Reise wert, eilt ihm mittlerweile weltweit voraus. Dort angekommen wussten wir sofort warum. Das traumhafte Blau des Sees schmiegte sich anmutig zwischen die hohen, ihn umgebenden Berge. Rund um den See herrschte die berühmte und manchmal auch berüchtigte Geschäftigkeit der Bewohner. Fiat Unos rasten mit beängstigender Geschwindigkeit zwischen den unzähligen Vespas hindurch und kleine Berührungen zwischen den rollenden Gefährten, die bei einem deutschen Autoliebhaber mindestens einen Herzinfarkt auslösen würden, waren an der Tagesordnung. In diesem Moment erinnerte ich mich wieder an einen lange zurückliegenden Rom-Aufenthalt, bei dem die Römer ihre Fiat Unos jeweils geräuschvoll in eine viel zu enge Parklücke drückten, was nur funktionierte, weil wohlweislich in keinem der parkenden Autos ein Gang eingelegt war. Pragmatisch, praktisch, gut – wie sonst sollte man sich Platz schaffen. Und es hatte sich an dieser Eigenart des Einparkens in Italien augenscheinlich nichts geändert. Das ist eindeutig eine Eigenschaft, von der wir etwas lernen können. Fahrzeuge sind in Italien das, was sie eigentlich sein sollten: ein praktischer Blechhaufen, weil er einen von A nach B bringt. Und ob das Ding außen verbeult ist, hat keinerlei Auswirkung auf seine ursprüngliche Bestimmung und ist deswegen auch nicht von Bedeutung. Wenn aber Francesco am Parkplatz vor dem Supermarkt zufällig auf Luca trifft, dann wird es laut – aber im positiven Sinne, und nicht etwa, weil Francesco Lucas Vespa ein bisschen angebumst hat. Nein! Weil sie sich schon lange nicht mehr gesehen haben und wild gestikulierend ihr Wiedersehen feiern. Vielleicht sollten auch wir uns mehr auf den Unterschied zwischen leblosem Blech und unseren Mitmenschen besinnen und die Gewichtung unserer jeweiligen Beziehungen überdenken.

Der Comer See wird tagsüber von einer riesigen Masse Menschen „überschwemmt“, die aus aller Herren Länder in Mailand Station machen und für einen Tag auch an den Comer See kommen. Dort fahren sie haufenweise mit einer der zahlreichen Seefähren von einem Ort zum anderen und fluten die kleinen Gassen, um am Abend wieder Richtung Mailand abzuziehen. Und die Italiener? Sehen das ganz und gar nicht kritisch und machen das einzig Richtige. Sie verlangen horrende Summen für ein bisschen Essen und ihr berühmtes „Gelato“ - und kassieren somit gleich selbst das ihnen zustehende Schmerzensgeld dafür, dass sie sich ihr schönes Fleckchen Land mit Millionen von Touristen teilen müssen. Abermals eine sehr kluge Entscheidung!

Auch wir haben uns eingereiht in die vielen Fährgäste und haben uns quer über den See schippern lassen, um uns die malerischen kleinen Orte anzusehen, die rund um den Lago romantisch daliegen. Einzig und allein die Tatsache, dass wir Fahrräder dabei hatten, hat unsere italienischen Freunden aus dem Konzept gebracht. Denn alles, was keinen Motor hat und leise fährt, löst automatisch Alarm in ihren Köpfen aus. Das muss gefährlich sein! Wir durften zwar mitfahren, jede unserer Bewegungen wurde aber sehr kritisch beäugt und sie waren alle gleichermaßen froh, als sie uns mit unseren mörderischen Fahrzeugen wieder los hatten.

Deshalb gibt es auf dem See auch keine Tretboote oder ähnliche umweltfreundliche Schiffsvarianten. Wenn man ein Boot mieten möchte, bekommt man ein – Motorboot! – Bootsführerschein? Nicht nötig! Wir wissen mittlerweile, alles, was laut ist und stinkt, ist akzeptiert. Anders wär‘s schon bei einem Tretboot. Viel zu gefährlich! Das fangen sie hier gar nicht erst an. Und so fanden wir uns zwischen den vielen Luxusjachten und Fähren, die auf dem See schwammen, in einer kleinen motorisierten Nussschale wieder, die abging wie ein Ferrari. Genau das Richtige für unseren männlichen Begleiter. Vielleicht kennen Sie die Story vom „Wintercamping“? Für alle anderen – er liebt die Geschwindigkeit und so wurde umgehend ausprobiert, wie schnell denn so ein kleiner schwimmender Ferrari unterwegs sein kann. Dass es bei dieser Aktion den Rest der Besatzung ordentlich durchschüttelte, machte das Ganze noch etwas attraktiver. Ich kam mir vor wie auf der Titanic kurz vor deren unausweichlichem Ende. Doch ich hatte Glück und überstand diesen Teufelsritt bis auf ein paar blaue Flecken unbeschadet.

Nach ein paar Tagen zwischen unzähligen Menschen, rasenden Booten, anbumsenden Fiats und Vespas waren wir reif für ein bisschen mehr Ruhe. Und so machten wir uns auf unseren Fahrrädern auf den Weg in Richtung Berge. Wie fast überall in den Touristenhochburgen waren wir kurz nach dem Verlassen des „Epizentrums“ alleine unterwegs und genossen die meditative Ruhe, die uns begleitete, als wir mit unseren Rädern die Serpentinen hinauf radelten. Bis wir schließlich in einen riesigen Ort kamen, der mit unzähligen Häusern hoch über dem See thronte, jedoch menschenleer war. Es drängte sich der gruselige Gedanke auf, dass die Bewohner, hier, nahe der Stadt Bergamo, die Corona-Pandemie nicht überlebt hatten, bis wir irgendwann an einer Pizzeria vorbei kamen, wo tatsächlich zwei Menschen auf der Terrasse saßen. Das passte gut, denn Radeln macht hungrig. Und so nutzten wir die Gelegenheit, um uns dazu zu gesellen. Ein schüchterner junger Mann kam heraus und fragte uns in seiner Landessprache nach unseren Wünschen. Endlich war es so weit und ich konnte meine längst eingestaubten Italienisch-Kenntnisse aus den hintersten Gehirnnischen hervorzerren. Bis dato wurde ich immer gleich auf Englisch angesprochen, wenn ich versuchte, eine Frage auf italienisch zu stellen. Er war der erste Mensch, der geduldig wartete, bis ich die richtigen Worte fand. Denn er konnte kein Englisch und freute sich sichtlich darüber, dass wir uns in seiner Muttersprache verständigen konnten. Diese Konversation als Unterhaltung zu bezeichnen, wäre zugegeben übertrieben, aber wir bekamen immerhin die Gerichte die wir bestellt hatten. Dass es die mitunter beste Pizza war, die wir je gegessen hatten und das noch dazu zu einem sagenhaft günstigen Preis, muss ich wohl nicht dazu sagen.

Der Comer See ist auf jeden Fall eine Reise wert. Wie an jedem Ort auf dieser Welt, der von zu vielen Touristen überschwemmt wird, verändern sich die Menschen und sind nicht sie selbst, wenn sie diesen täglichen Wahnsinn bewältigen müssen. An solchen Orten die kleinen, versteckten Schönheiten, ein kleines Stück weg von der Masse, aufzuspüren, erlaubt einem, das Land und die Menschen so kennen zu lernen, wie sie wirklich sind.

 

Die populären und durchaus auch von Schönheit geprägten, prominenten Orte zu meiden, wäre wohl auch ein Fehler. Vielmehr sollte man sie mit der nötigen Gelassenheit entdecken, die im Urlaubsgepäck nie fehlen sollte. Denn wenn man viel Glück hat und den Menschen mit aufrichtiger Freundlichkeit begegnet, lässt einen auch dort der ein oder andere hinter die Fassade blicken und schenkt einem ein ehrlich gemeintes Lächeln. Das Essen schenkt er einem nicht! Wär ja auch schön dumm. „La dolce vita“ hat eben seinen Preis!

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