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Ein wahres Weihnachtsmärchen

Eine wahre Geschichte über menschliche Schicksale und die Magie der Weihnachtsbotschaft

Weihnachten verbindet man in der heutigen Zeit mit Lichterketten, allgegenwärtiger musikalischer Beschallung und bunten Geschenkpaketen. Bei der älteren Generation ist Weihnachten oftmals noch mit Erinnerungen verbunden, die in eine ganz andere Zeit führen, in die Kriegs- und Nachkriegsjahre. Damals herrschte nahezu für alle Bevölkerungsschichten eine „schlechte Zeit“, wie sie heute oft genannt wird. Aber es gab auch Erlebnisse, die Licht in das damalige Dunkel brachten.

Jedes Jahr zu Heiligabend erinnert sich eine 87jährige alte Dame an ein solches Ereignis und sie wird es in ihrem Gedächtnis behalten, solange sie lebt. Es war Heiligabend 1942. Die Familie lebte in einer kleinen, bescheidenen Wohnung. Der Vater war, wie die meisten Männer, im Krieg, die Mutter versorgte so gut es ging ihre drei Kinder. Die Älteste der drei Kinder hieß Rosl und war gerade mal acht Jahre alt. Wie in vielen der Familien, wo zu dieser Zeit der Ehemann und Vater fehlte, beherrschte „Schmalhans“ die Küche. So auch vor Weihnachten. Die Mutter hatte kaum etwas zur Verfügung, um ihre drei Kinder satt zu bekommen. In ihrer Not schickte sie ihre älteste Tochter am Vormittag des Heiligabends auf den Weg. Rosl sollte zu einem Bauernhof im Außenbereich des kleinen Ortes gehen und dort um ein paar Lebensmittel wie Milch und Mehl ansuchen. Selbst konnte die Mutter nicht aus dem Haus, denn die beiden Geschwister von Rosl waren noch zu klein um ohne Aufsicht zu bleiben.

Bei dichtem Schneefall und kräftigem Wind machte sich die Achtjährige mit einem „Zegga“ (alte Bezeichnung für eine Stofftasche mit Eisenringen) auf den Weg. Die Straße war damals noch nicht befestigt und eine Piste mit Schlaglöchern und Buckeln und durch den vielen Schnee kaum mehr erkennbar. An Heiligabend und bei diesem Wetter war dort kaum jemand unterwegs. Völlig allein stapfte Rosl, mit Rock und Mäntelchen bekleidet, von der Siedlung über die Brücke und schlug dort den Weg nach Norden in Richtung Bauernhof ein. Der Wind hatte schon am Vormittag hohe Schneewehen angehäuft und peitschte die Flocken in dichten Wolken vor sich her. Rosl war bald von dem grellen und undurchdringlichen Weiß der Schneefläche „schneeblind“ und musste gegen den Schneesturm ankämpfen. Alles sah gleich aus, die unbefahrene Straße war fast nicht mehr auszumachen. Und so geschah es, dass das Mädchen von der Straße abkam und in den Straßengraben geriet. Dort sank sie in den tiefen Schnee einer Wehe und konnte sich nicht mehr selbst befreien. Ihre Hilfeschreie verebbten im Wind und allmählich verließen sie auch ihre Kräfte, nachdem sie vergeblich versuchte hatte, sich aus den Schneemassen zu freien. Ihre dünnen Beinchen versanken immer wieder und auch ihre Kleidung war inzwischen völlig durchnässt.

Verzweiflung und Angst brachen über sie herein, denn außer dem Wind und ihrer eigenen Stimme war weit und breit nichts zu hören. Ihre Hilflosigkeit schlug allmählich in Verzweiflung um. Das Kind befürchtete, zu erfrieren und begann zu beten. Sie hatte fast keine Kraftreserven und auch kein Zeitgefühl mehr als sie plötzlich meinte, ein Glöckchen zu hören. Und tatsächlich, das Geläute des Glöckchens wurde immer deutlicher. Sie mobilisierte ihre letzte Kraft zu lauten Hilferufen. Plötzlich war es wieder still und kurz darauf sah sie einen Mann, der sich durch die Schneewehe auf sie zu arbeitete.

 

„Mei, Dirndl, was ist denn passiert?“ mit ungefähr diesen Worten befreite der Mann das inzwischen unterkühlte und fast schon apathische Kind und brachte es zu dem Pferdeschlitten, mit dem er unterwegs war. Er lenkte seine Pferde schnurstracks zu seinem Bauernhof und nahm das Kind mit in die warme Stube. Besorgt um die kleine Rosl wurden ihr trockene warme Sachen von den Kindern des Bauernpaares angezogen und sie wurde sofort an den großen Esstisch in der Stube gesetzt. Die Bäuerin stellte eine große Pfanne mit frischen „roggenen Nudeln“ in die Mitte des Tisches und rasch füllte ein köstlicher Duft die bäuerliche Stube. Rosl genoss diese für sie seltene Köstlichkeit und füllte ihren Magen, bis sie richtig satt war. Natürlich musste die kleine Rosl bei Tisch erzählen, warum sie bei diesem Wetter unterwegs war. Ihre Worte rührten am Herzen der Bauersleute. Der „Zegga“ und auch die mitgeführte Milchkanne waren prall gefüllt mit Milch und Lebensmittel aus der Speisekammer als sich Rosl wieder auf den Weg nach Hause machen wollte. Inzwischen war es schon später Nachmittag und der Schneesturm wütete immer noch. Die besorgten Bauersleute wollten das Kind nicht noch einmal den Gefahren der Natur und des Weges aussetzen. Deshalb spannte der Bauer die Pferde an und fuhr Rosl bis vor die Haustüre des Siedlungshauses. Er brachte sie sogar bis zur Wohnungstür. Die Mutter, deren Angst um Rosl von Stunde zu Stunde wuchs, konnte das Glück im Unglück, das Rosl an diesem Heiligabend widerfuhr, nicht fassen. Zum einen, weil sie ihre Tochter wohlbehalten zurückbekommen hatte und zum anderen, weil es an Weihnachten gut gefüllte Teller für die Kinder gab. Es war wirklich Weihnachten für die Familie.

Dieses Erlebnis vor knapp 80 Jahren hat sich tief in das Gedächtnis von Rosl eingebrannt und lieferte ihr die Basis für ihre Zufriedenheit und Dankbarkeit, mit der sie noch heute dem Alltag und ihrem Umfeld begegnet. Auch in diesem Jahr wandern an Heiligabend ihre Gedanken zurück in die Kindheit.

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